Skittouren Ahrntal

Schnee und Sonne im Visier

Weißenbach in Südtirol liegt in einem Seitenarm des Ahrntals und am Fuß des Alpenhauptkamms. Hier geht es noch ruhig zu und Skitourengeher finden sowohl Pulverträume als auch südseitige Konditions-Kracher an Dreitausendern.

Auf die Kuppe unterhalb des Zinsnock-Gipfelhangs führt nur eine Abfahrtsspur. Was auf der anderen Seite folgt, sind nicht weniger als die besten Schwünge des bisherigen Winters. Und das soll im März etwas heißen: Ein-, zweimal staubt der Schnee bis über den Kopf. Unter der wärmenden Sonne auf der Alpensüdseite fahren die Ski fast wie von allein. Sie tauchen nach jeder Kurve in die gut 40 Zentimeter Pulver ab, die sich durch die gestrigen Schneefälle gesammelt haben, und schwimmen dann durch nur ganz leichten Druck aus den Knien wieder auf.


Dabei handelt es sich bei der nordseitigen Tour auf den Zinsnock (2435 m) nicht eben um einen Geheimtipp im Weißenbachtal (oder Valle di Riobianco). Überlaufen zeigt sie sich trotzdem selten. Dass die Hänge kurz nach dem letzten Neuschnee pistenmäßig eingefahren sind, gibt es hier jedenfalls nicht. Dabei wären die Voraussetzungen erfüllt: Die Tour ist mit rund 1050 Höhenmetern nicht zu anstrengend, kommt ohne lange Ziehwege aus und ist bei geschickter Routenwahl auch noch wenig lawinengefährdet. Doch auch, wenn gefühlt jeder im Tal an diesem strahlenden Sonnentag auf Tourenski unterwegs ist: 540 Einwohner und 340 Gästebetten reichen einfach nicht aus, um die Winterziele mit Sportlern zu überlasten. Und da es auch nur einen kleinen Dorflift gibt - und das erst seit Kurzem - bleibt auch jeder andere Rummel aus.


Die Qual der Routenwahl


Im einzigen Hotel in Weißenbach hat Wirt Andreas Huf am Vorabend viel zu tun, seine hochmotivierten Gäste zu beratschlagen. Draußen fallen dicke Flocken vom Himmel, die am nächsten Tag für Lawinenwarnstufe drei sorgen werden, aber eben auch für Traumpulver. Das übliche Dilemma der Tourengeher eben. »Stell dir vor, ich würde 40 Leute auf den gleichen Berg schicken«, sagt er. Huf schüttelt lachend den Kopf, als ob es sich dabei um ein völlig absurdes Szenario handeln würde. Tourengeher aus stärker frequentierten Regionen denken sich ihren Teil und freuen sich auf den kommenden Skitag. Denn mit Fadner (2457 m), Henne (2475 m) und Speikboden (2517 m) stehen weitere Powder-Ziele in der Größenordnung des Zinsnock zur Auswahl.



Der Speikboden liegt über dem nach ihm benannten Skigebiet nahe Luttach im Ahrntal. Doch der Skizirkus findet auf der anderen Seite des Bergs statt. Alles zwischen ihm und den Gletschern der Zillertaler Alpen auf der Nordseite des Alpenhauptkamms gehört den Skitourengehern.Kein Wunder also, dass die Tour auf den Zinsnock Sehnsüchte weckt. Skifahrerisch lässt sich dieser Tag zwar kaum überbieten, aber der Bergsteiger in einem schaut sehnsüchtig zum Alpenhauptkamm hinüber.


Ausblicke zum Alpenhauptkamm


Dort warten nicht nur extrem anspruchsvolle Ziele wie der Turnerkamp (3418 m). Der ist etwas für Könner und Einheimische wie Wirt Andreas Huf, der sich schon so ziemlich überall um sein Hotel Alpenfrieden herum hochgepickelt hat. Vom Gipfel des Zinsnock aus springt auch der große Klassiker über Weißenbach ins Auge: die V. Hornspitze (3146 m). Eine dünne Spur zieht sich bereits durch das weite System makellos weißer Stufen und Böden dem spitzen Zacken entgegen - mutig. Auch die Fast-Einheimischen aus dem nahen Bruneck hadern nicht damit, es bei den heiklen Bedingungen an diesem Tag nicht am Hauptkamm probiert zu haben. Dafür jauchzen sie bei der Abfahrt über die freien Nordhänge um die Wette - solche Schneemengen wie im März 2018 sind auch für sie nicht selbstverständlich. Auf dem Weg ins Tal schießt ihnen der Pulverschnee entgegen. Bei der zwischenzeitlichen Einkehr an den Almen Marxegger und Pircher scheint ihnen die Sonne ins Gesicht. Das genießen auch Fußgänger: Über eine Rodelbahn stieg Angela Tamers aus Bruneck mit einer Freundin zu den Almen auf, um die letzten Wintertage in Ruhe und Abgeschiedenheit zu genießen.


Auch für den nächsten Tag sagt die Wetterprognose Sonnenschein voraus - zumindest bis zum frühen Nachmittag. Das passt, denn bei einer großen Tour wie auf die V. Hornspitze ist ohnehin frühes Aufstehen angesagt. Praktisch, wenn die Anfahrt sich dann auf wenige Kilometer durch den langgestreckten Ort beschränkt. Voll südseitig ausgerichtet, unterliegen die bevorstehenden satten 1750 Höhenmeter stark dem Tagesgang.


Und der sorgt in den winterlichen Südtiroler Bergen für Extreme: Während die ersten Schritte bei klirrender Kälte auf hartgefrorenem Harsch klackern, sorgt die Sonne schon bald für mediterrane Gefühle. Oder, nennen wir es beim Namen: Der Schweiß läuft einem in Strömen am ganzen Körper runter und spült Sonnencreme in Mund und Augen. Auch so schmecken Skitouren. Obwohl der Sonnenschutz nicht gerade zu den Top-Zutaten von Gourmet-Köchen gehört, brennen sich die Kombination aus Creme und Schnee in das Gedächtnis ein. Denn was Skitourengeher an solchen Tagen erleben, beeindruckt einfach.


Anspruchsvoller Aufstieg


Das liegt bei dieser Tour über Weißenbach zum Beispiel daran, dass der schwere Schnee mit zunehmender Höhe immer lockerer wird. Da können auch die schwächelnden Beine und der pfeifende Atem die Vorfreude auf die Abfahrt nicht trüben. Auch der Ausblick steuert seinen Teil bei: Bisher dominierte der C-förmige Bogen, der vom Speikboden zum Hauptkamm hinüberzieht. Im Süden rücken die Dolomiten ins Bild. Tourengeher, die am Südgrat der V. Hornspitze dem Gipfel entgegen schnaufen, haben weniger Augen für die umliegenden Berge. Sie achten eher auf das steile Gelände. Je nach Schneelage halten sie zudem die Augen nach dem richtigen Platz für ihr Skidepot offen. Denn ganz hoch bis zum Kreuz am Wintergipfel geht es selten mit Brettern unter den Füßen. Ein paar Jungs aus Innsbruck ziehen es trotzdem durch. Sie stehen jetzt gegen 13 Uhr am Gipfel und werden gleich die felsdurchsetzte, vom Wind gepresste Gipfelflanke hinunter schreddern.


Eine Kärntner Gruppe geht es gemütlicher an. Ihre Ski stehen etwas unter dem schmalen Gipfel. Im Pulver um die 3000-Meter-Höhenmarke herum erwartet sie eine Fünf-Sterne-Abfahrt. Bei einem Stopp auf den weiten Hängen spricht einer von ihnen aus, was viele denken: »Ich wünschte nur, ich hätte noch ein wenig mehr Kraft!« Das gilt erst recht, da weiter unten Bruchharsch wartet. Doch das kann eine große Tour nicht trüben. Die besten Schwünge des Winters bleiben zwar drüben am Zinsnock. Als erster Dreitausender des Jahres, als lange, eindrückliche Tour dagegen landet die V. Hornspitze im Tourenbuch. Beides zusammen wirkt lange nach, als starke Tourentage in einem etwas anderen Eck Südtirols.



POWDER-TOUREN UND ALPINE ANSTIEGE


In einem Kessel, direkt am Alpenhauptkamm gelegen, bietet Weißenbach Touren in alle Himmelsrichtungen: nordseitige Pulver-Abrfahrten und südseitige Konditions-Touren auf 3000er.


Zinsnock (2435 m)


Schwierigkeit: mittel

Auf- und Abstieg: 1050 Hm

Dauer: 3½ Std.


Charakter: Schöne und fast ausschließlich nordseitige Skitour mittlerer Länge und Schwierigkeit. Die Ausrichtung sorgt dafür, dass sich der Pulver gut hält, trotzdem bekommt der Aufstiegsweg Sonne ab. Bei geschickter Routenführung lässt sich auch die Lawinengefahr stark reduzieren.


Ausgangs- und Endpunkt: Weißenbach Rodelbahn (1365 m)


Einkehr: Marxegger und Pircher Alm


 Route: Weißenbach - kurz auf der Rodelbahn aufwärts - Weg Nr. 22 - Marxegger Alm - kurz vor Pircher Alm rechts auf einen waldigen Rücken - Zinsnock - Abfahrt wie Aufstieg



V. Hornspitze (3146 m)


Schwierigkeit: mittel

Auf- und Abstieg: 1750 Hm

Dauer: 5½ Std.


Charakter: Lange Konditions-Tour in den Alpenhauptkamm. Durch die südseitige Exposition, den weiten Weg und die vielen Höhenmeter empfiehlt sich ein zeitiger Aufbruch. Bei guten Schneeverhältnissen geht es entlang des Südgrats auf Ski bis knapp unter den Gipfel, der Aussicht auf große Berge und in die Dolomiten bietet.


Ausgangs- und Endpunkt: Weißenbach Ortsende (1380 m)


Einkehr: Unterwegs keine


Route: Ortsende Weißenbach - Tratteralm - Gögealm - Ebene »Moos« - Richtung Trattenjoch - vor dem Joch rechts - Südgrat - V. Hornspitze - Abfahrt wie Aufstieg



Fadner (2457 m)


Schwierigkeit: mittel

Auf- und Abstieg: 1080 Hm

Dauer: 3 Std.


Charakter: Nordseitige Pulver-Tour, die bis zur Fadner Alm wenig lawinengefährdet ist. An den Steilhängen darüber ist Vorsicht geboten. Bei ungünstigen Bedingungen kann man auch an der letzten Kehre der Rodelbahn zu den Mittelberger Almen aufsteigen, über den Rücken zur Fadner Alm queren und von dort abfahren.


Ausgangs- und Endpunkt: Weißenbach Rodelbahn (1365 m)


Einkehr: Innerhofer Alm


Route: Weißenbach - auf der Rodelbahn aufwärts - Innerhofer Alm - durch lichten Wald - Fadner Alm - Wetterstation - Fadner Jöchl - Fadner - Abfahrt wie Aufstieg



Tristenspitz-Vorgipfel (2650 m)


Schwierigkeit: mittel

Auf- und Abstieg: 1300 Hm

Dauer: 4 Std.


Charakter: Recht wenig begangene, oben teils steile Skitour. Die Route ist zudem oberhalb der Stifter Alm häufig lawinengefährdet und eignet sich somit vor allem für stabile Frühjahrsverhältnisse. Wegen der Süd- und Osthänge ist ein früher Aufbruch ratsam.


Ausgangs- und Endpunkt: Weißenbach Rodelbahn (1365 m)


Übernachtung: Reichegger Alm


Route: Weißenbach - kurz auf der Rodelbahn aufwärts - den rechten Forstweg rauf - Reichegger Alm - Stifter Alm - auf einen Rücken - Lappacher Jöchl - große Hochfläche - Wintergipfel Tristenspitz - Abfahrt wie Aufstieg



VON SÜDEN AN DEN  ALPENHAUPTKAMM


WIE ANKOMMEN?

Mit der Bahn nach Umsteigen in Franzensfeste (Fortezza) nach Bruneck und mit dem Bus weiter ins Ahrntal. Mit dem Auto über den Brenner ins Pustertal und über Bruneck ins Ahrntahl fahren. In Luttach geht es links in Richtung Weißenbach. Einige Kehren führen in den Ort hinauf.


WO WOHNEN?

In einem ruhigen Seitental des Ahrntals, nahe am Alpenhauptkamm, liegt Weißenbach. Im Ort gibt es mehrere Pensionen sowie das Hotel Alpenfrieden, wo Wirt Andreas Huf viele Tipps zu den Skitouren rund um den Ort gibt.


WO ANKLOPFEN?

Tourismus Information, Ahrner Straße 22, 39030 Luttach, Tel. 00 39/04 74/67 11 36, www.ahrntal.it


SICH ORIENTIEREN

Tobacco 1:25 000, Blatt 036 »Sand in Taufers«; Alpenvereinskarte 1:25 000, Blatt 35/1, »Zillertaler Alpen«







Informationen auch unter: www.bergsteiger.de




Erschienen im Bergsteiger 12/1018